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Die Bedeutung von lokaler Produktion in Zeiten von Corona

Seit diesem Jahr und seinen Corona-Einschränkungen ist auch die Forderung, regional zu produzieren, lauter geworden. Bei Austrovinyl läuft die gesamte Produktion in ein und demselben Haus. In dieser ganzheitlichen Betreuung unserer KundInnen strecken wir unsere Fühler aber in einen globalen Markt aus. Warum wir »lokal« und »regional« als Konzept gerade jetzt neu denken sollten.

Für mich sind die Begriffe »regional« und »lokal« generell zu hinterfragen. Was bedeuten diese Kategorien in der jetzigen Zeit überhaupt? Dein Ort, deine Stadt, dein Bundesland, dein Staat oder Europa?

Wir können regional/lokal nicht definieren.

Wenn wir bei Austrovinyl diesen regionalen/lokalen Gedanken durchgezogen hätten, würde es uns nicht geben. Wir hätten keine Maschinen, wir hätten kein Granulat, keine Labels, keine Covers.

Austrovinyl – und auch unsere KundInnen, KünstlerInnen, Labels – müssen überregional und überlokal denken. Der lokale Gedanke ist eine Einschränkung, sich weiterzuentwickeln. Wir müssen unbedingt über den Tellerrand blicken und dürfen uns nicht einigeln.

Unsere KundInnen sind in ganz Europa angesiedelt. Wir sind international aufgestellt und das ist gut so – aber natürlich liegt der Fokus auf Österreich. Außerdem ist zu erwähnen, dass wir sehr gute Beziehungen nach Ungarn und Slowenien pflegen.

Unser Betrieb liegt in der Südoststeiermark, so liegt Ljubljana von uns aus näher als Wien. Durch unsere breite, überregionale Aufstellung sind wir bis dato sehr gut durch diese schwierige Zeit gekommen. Sei es, dass die KünstlerInnen mehr Zeit haben, um kreativ zu sein und neue Platten zu produzieren, oder dass der generelle Boom an Vinyl auch uns zugutekommt.

Wir müssen aber leider schon feststellen, dass unsere ungarischen NachbarInnen, die vor Covid zahlreiche Produktionen bei uns umgesetzt hatten, politische oder auch wirtschaftliche Probleme haben. Und für uns fällt Ungarn in die Kategorie »regional/lokal«, geographisch gesehen. Wo wir bei meinen Gedanken von anfangs angekommen wären.

Wir verstehen uns als wichtigen Beitrag für die österreichische Musiklandschaft und als eine Service- und Anlaufstelle für alle Musikschaffenden. Wenn einem das wichtig ist, dass es so etwas in Österreich gibt, sollte man auch auf dieses Angebot zurückgreifen. Somit unterstützt jede/r einzelne Kunde/Kundin unsere Tätigkeit, womit wir diesen Service und die lokale, regionale Nähe auch wieder langfristig gewährleisten können. Wir haben aber doch den Eindruck, dass wir schon sehr gut in der heimischen Szene wahrgenommen werden. Seit unserem Bestehen wächst unsere Auslastung stetig an.

Fazit zum Thema regionale Produktion: Wir alle müssen hinaus in die Welt und den Horizont erweitern. Kleines Denken ist zu wenig für morgen.

Die Vinyl-Schallplatte als globalisiertes Produkt in Zeiten einer weltweiten Krise

Ich kann eine LP mit auf Reisen nehmen und diese mit gleich hoher Wiedergabequalität – vergleichbares Abspiel-Equipment vorausgesetzt – anhören, egal ob ich in Favelas von Sao Paolo, im orientalischen Ambiente der marokkanische Metropole von Casablanca bin, oder mich im fernöstlichen Tiger-Staat Malaysia aufhalte. So gesehen ist die Platte ein wirklich universales Medium, das unabhängig von Ort und Zeit überall auf der Welt den Genuss von Musik-Preziosen in intimsten Momenten erlaubt.
Aber es ist auch ein globalisiertes Produkt, da die massive Rezession in der Vinyl-Industrie, nach seiner Goldenen Ära der 1970er-Jahre, nur mehr wenige enthusiastische Unternehmen übrig ließ, die die Versorgung mit den unverzichtbaren Produkten zur Vinyl-Herstellung sicherstellen. So gibt es bei verschiedenen essenziellen Vormaterialien fast weltweit monopolartige Konstellationen.
Ein Beispiel dazu habe wir schon in unserem ersten Blog mit der Situation der Lackfolien nach dem Brand bei Apollo Master Discs beleuchtet. Genau diese Situation der viel diskutierten Lieferketten  lohnt sich im Zeichen der unfassbaren Covid-19-Krise und im heutigen Blog näher zu betrachten.
Im Prinzip ist eine Platte ganz einfach aufgebaut. Sie besteht zu mehr als 99% aus Poly-Vinyl-Chlorid (PVC) und knapp 1% aus Papier-Labels. Aber das ist es ja nicht allein, was man benötigt, um eine Schallplatte aus Vinyl herzustellen. Was ist denn da noch alles notwendig, abgesehen von den hoch-technisierten Spezial-Maschinen und Anlagen?
  • Zur Herstellung der Lackschnitte benötigt man vor allem Lackfolien und – ganz wichtig – den Schneid-Stichel
  • Im Galvanischen Prozess braucht man in erster Linie spezielle Chemikalien zum Versilbern der Lackfolien und Nickel-Granulat
  • Die Schallplatte selbst besteht, wie gesagt, aus Vinyl und den Labels aus speziellem Etiketten-Papier
Das Vinyl-Granulat ist dabei recht einfach erhältlich. In sehr guter Qualität zum Beispiel aus Italien  – auch in Zeiten von Ausnahmesituationen wie gerade in der Lombardei –, Deutschland oder die Niederlande. Die Drucksorten, wie Labels, LP-Covers, Innensleeves, etc., sind ebenso recht zügig aus verschiedenen Bezugsquellen in Deutschland und Italien erhältlich. Aktuell kann es vielleicht zu Verzögerungen durch Speditionen kommen – die behördliche Auflagen haben vorgesehen, Apotheken-Bedarf und Lebensmittel vorrangig zu befördern.
Schwieriger wird es schon beim Galvanischen Prozess. So gibt es für Versilberungs-Chemikalien nur eine industrielle Lösung, deren Produktion noch dazu im Bundesstaat New York liegt – auch ein Corona-Hot-Spot. Das Nickel-Granulat wird daneben nur mehr von einem Bergbau-Konzern in Kanada verhüttet und schließlich zum Granulat aufbereitet. Dieser Verarbeiter von Buntmetall ist aber durch ein gutes Vertriebs-Netzwerk in Europa bestens aufgestellt und alles ist in vernünftigem Zeitrahmen erhältlich.
Geradezu prekär ist die Lage aber beim Lackschnitt: Bei den Lackfolien gibt es aktuell eine weltweite Monopol-Situation mit einem einzigen aktiven Lieferanten aus Japan, der aber den Großteil des Marktes in Europa abdecken kann. Absolut schwierig ist die Situation bei Schneid-Stichel aus Saphir oder Diamant für die Lack- und Kupfer-Schnitte. Hier gibt es praktisch auch nur mehr einen nordamerikanischen Lieferanten weltweit, und da ist die Qualität bei ständig massiv steigenden Preisen nahezu ein Roulette-Spiel.
Uns als Austrovinyl ist aber wichtig, dass wir auf allen Ebenen – Lackschnitt, Galvanik-Prozess,  Vinyl-Pressung – gut vorgesorgt haben. Einerseits haben wir genügend Material auf Lager. Das betrifft vor allem Granulat und Lackfolien. Andererseits haben wir die Versorgung über die vorhandenen Lieferanten intensiv abgecheckt und sichergestellt, beispielsweise für Silber-Chemikalien und Nickel-Granulat. Aber auch darüber hinaus haben wir die Fühler zu alternativen Lieferanten und interessanten Entwicklungen von neuen Produkten ausgestreckt, wie zum Beispiel in Sachen Schneid-Stichel. Damit können wir auch in weiterer Zukunft eine qualitativ hochwertige Produktion von Vinyl-Schallplatten und eine zeitlich flexible Produktion sicherstellen.
Um aus diesen besten Zutaten, die weltweit zusammen getragen werden, tolle Vinyls herzustellen, benötigt es aber vor allem noch eine andere wichtige Voraussetzungen: menschliches Know-How, Motivation und Hingabe. Und das ist ganz lokal, ganz unmittelbar hier in der Steiermark zu finden. Bei den MitarbeiterInnen von Austrovinyl – bei Liesi, Gundi, Helene, Hansi, Hannes und Peter.
Und so wird aus einem universalen, globalisierten Produkt, ganz schnell wieder ein lokal erzeugtes, ein glokalisiertes Produkt. Ganz nah an unseren KundInnen, beratend und unterstützend für all die vielfältigen MusikerInnen, Bands und KünstlerInnen in Österreich und den Nachbarstaaten, vielen idealistischen Labels, Vereinen und Kultur-Initiativen, die das Musikschaffen in unserer Gesellschaft so intensiv weitertragen. In der aktuellen Situation erleben diese alle eine schwarze Stunde, in der das kulturelle und gesellschaftliche Leben so tiefgreifend eingeschränkt ist.
Und zum Abschluss nutze ich die Gelegenheit, Euch allen da draußen daher alles Gute, viel Ausdauer und Durchhaltevermögen zu wüschen, damit wir uns bald wieder auf tollen Konzerten, durchtanzten Parties und spannenden Musik-Festivals wieder treffen können. Und frei nach Femi Koleoso von der Londoner New Jazz-Combo Ezra Collective: »You can steal a lot of things from us. You can steal our ability to freely travel, and you can even steal our ability to live a life at its full potential. But as long as we don’t forget our core truth, …. You Can’t Steal Our Joy«. Eine sehr empfehlenswerte LP übrigens.
Bis bald,
Peter!